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3. Biennale für zeitgen. Kunst vom 22.8.-7.9.2002 in Gyumri, Armenien. "Bional", Installation, Arpine Tokmadyan, Armenien (l.); "Hommage an Saryan", Aktion/Sommerklasse, E. Reith (m.); Performance "Frau und Identität/Frau im Islam", Bahareh Hosseini

15.12.2002, ADK

Bericht: KUNST ALS ÜBERLEBENSELEXIER

Daß der "Denker" einmal die Initialzündung für eine Südkaukasus-Biennale geben würde, hätte Rodin sich wohl nicht träumen lassen. "Der Impuls kam von oben", so Vazgen Pahlavuni-Tadevosyan und regte ihn selbst nicht nur zum Denken, sondern zum Handeln an. Er gründete und organisierte – nun bereits die 3. Biennale für zeitgenössische Kunst im ehemals stark beschädigten GYUMRI in der Region Shirak. Die 1. Biennale trug den Titel: "Investigation, locality and time" und setzte Maßstäbe in der Aufarbeitung traumatischer Ereignisse – wie das Erdbeben in der Shirak-Region von 1988.

Als Teilnehmerin der 1. Biennale und nun der 3. Biennale, die in Gyumri und an verschiedenen Exkursionsorten stattfand, möchte ich hier berichten. 61 Künstler aus 14 Nationen waren eingeladen, um sich dem Thema: "Ausdruck der Schöpfung: Natur" zu widmen, das den Blick öffnen sollte für "neue Interpretationen des kulturellen Erbes und für die Vorstellungen von Natur und Umwelt".
 
In den sich erstaunlich vielfältig verknüpfenden Ausdrucksmöglichkeiten fanden sich alle Genres: Malerei, Zeichnung, Skulptur, Video, Fotografie und Installation, Performance und Tanz – auf der Suche nach den spirituellen Orten, den sacred places Armeniens. Ob frühchristliche religiöse Quellen oder spirituelle Momente inspirierten, die sich aus der Hochachtung vor der ungewöhnlichen Landschaft und Natur einstellten, die 3. Biennale 2002 war eine absolute Bereicherung und gab den einzelnen Künstlern neue wertvolle Impulse.  
Die Exkursionen zu den Klöstern St. Echmiadzin, St. Gayane, Khor Virab mit Blick auf den Ararat und Zvartnots oder die Fahrt zum Sevan-See mit den Stationen Hayravank, Geghard, Garni und Saghmosavank hatten eine lange und nachhaltige Wirkung.

Unterhalb von Garni, wo sich der Fluß Azat durch die überwältigende canyonartige Schlucht seinen Lauf sucht, bot sich die Basaltformation wie eine Kathedrale moderner sinfonischer Natur-Architektur dar und verschlug jedem von uns die Sprache. Hier wurde das green growing planting object «Bional» von Arpine Tokmadjyan mit frischem Quellwasser versehen und sinnbildhaft in einen neuen landschaftlichen Kontext gestellt. Die Schweizer Performerin Irene Maag drapierte sich mit ihrer Performance "Silk membrane" als klassische Skulptur vor den bizarren Basaltstelen.

So reihten sich viele künstlerische Arbeiten, die prozesshaft vor Ort entstanden, wie von selbst kontemplativ aneinander und waren allesamt voller Inspiration und Kraft; viele Teilnehmer wurden immer stiller, ihre Arbeiten selbst zum Teil ebenso.

Ein heiliges Samenkorn, das Kreatürlichkeit heißt – wurde auf den Weg geschickt durch Anna Mailyans Sharakan-Gesänge, die sie eigens für uns mit dem Duduk-Spieler Araik Bakhtikian in einer Vollmondnacht in der Kirche Hayravank am Sevan-See vortrug. Das anschließende Zusammensein in Avet Terterians Haus, die herzlichen Worte Irina Terterians, waren ein wirklicher Höhepunkt der Biennale. Die Hörprobe der Komposition "Beben" im ehemaligen "Arbeitsraum" des Komponisten mit Blick auf den Sevan-See konnte – gereinigt durch die Kargheit und Abgeschiedenheit in der Natur – mehr und mehr durch Mark und Bein gehend nachhallen: nie vergessen werde ich, wie die Komposition "Beben" über uns hereinbrach.
                    
Mit einer alten Schubkarre voller armenischer Erde als Symbol für die alles umfassende Stofflichkeit ERDE, begleitete Marcos Grigorian, der in Yerevan und New York lebende Künstler und Mentor die Biennale. Ein Besuch in seinem Haus, angefüllt mit Kunst, seinen Landart-Objekten, historischen und neuen von ihm entworfenen Teppichen, bot neben einem phantastischen Blick auf den beeindruckenden hellenistischen Tempel von Garni auch die Aussicht auf das braune zartfaltige Gebirge, das, nah und zugleich fern, fast zu atmen schien, es vermittelte ein Gefühl von zufriedener Zeitlosigkeit.                                
Elizabeth Doering, Bildhauerin, USA spürte mit ihrem Projekt "Explanation" der Substanz ENERGIE eines Ortes nach und ließ den Wind poetische Skizzen mit einem eigens konstruierten Apparat zeichnen – ausgehend von der Idee, Schwingungen und Fragen jenseits des heiligen Berges Ararats einzufangen.

Krikor Momdjan aus Holland arbeitete zum Thema Identität und Erinnerung und war mit gleich zwei Installationen vertreten. Bahareh Hosseini, Performancekünstlerin aus Teheran, arbeitete intensiv zum Thema Frau und Identität/Frau im Islam und legte Unterdrückungsmechanismen offen, die sie in eine atemberaubende Performance einbrachte.
                        
Tsolak Topchyan und Wardan Azatian kuratierten die "Young section", sie präsentierten beeindruckende Schwarz-Weiß-Fotoserien und Video-Installationen.
               
Mamuka Japharidze, Georgien, mit der Installation «Moth magic» lies Bienen, kleine Insekten, Schmetterlinge und Fliegen an seinem Honigtisch-Objekt Spuren hinterlassen. Isabel Jacquet aus Frankreich arbeitete zum Thema Erinnerung – Menschsein als Parabel – gefangen im Rausch der Zeit und Elemente.

Die Installation "Mirror" von Azat Sargysian spielte mit dem magischen Element in der Natur. Spiegelpyramiden regten zu neuen Wahrnehmungsebenen an, poetische Augenblicke einfangend und vervielfachend. Die Abende wurden genutzt, um sich (Video)Arbeiten zu zeigen, gemeinsam zu kochen und dabei Ideen und Projekte zu vertiefen.

Hommage à Saryan. Dem Thema der Biennale entsprechend, ließ ich mich vor allem von den Stilleben Martiros Saryans inspirieren. Licht und  Farbe, das Erlebnis des "Sehens" zu vermitteln, aber auch, Kinder selbst als Teil der Schöpfung zu begreifen, in diesem Sinne entstand die erste Sommerklasse mit Kindern aus Gyumri – eine "Hommage à Saryan".  

Einige Kinder von der Straße fragte ich, sie waren sofort mit dabei und wurden jeden Morgen von ihren Müttern zur Kunstakademie gebracht. Zunächst arbeitete ich mit Kindern aus dem SOS Kinderdorf Kotayk und danach mit Kindern des Aesthetic Educational Center of Gyumri. Sie arbeiteten ausgesprochen kreativ und konzentriert an den frei nachempfunden Stilleben.
Bei soviel Kreativität mußte am Ende der Sommerklasse auch eine "experimentelle Arbeit" stehen: ich sammelte Reststücke von Bauschutt-Wandbrocken, brachte sie in die Alexandropolstraße. So entstand die Abschlußarbeit,  ein von den Kindern gemaltes "Früchtestilleben der Straße".
        
Zur Ausstellung  in der Kunstakademie entstand dann ein geschlossener Raum, der den wunderbaren Farbensinn, die  Kreativität und Experimentierfreudigkeit der  Kinder zeigte. Mein Wunsch: ein Folgeprojekt in mit den Kindern von Gyumri ins Leben zu rufen, hoffe ich in diesem oder nächsten Jahr verwirklichen zu können.

Zur Eröffnung kamen ca. 300 Menschen, dazu die Botschafter Deutschlands, Amerikas und Vertreter des British Council, viele Kunstfreunde und Kulturinteressierte.  
Das 1998 wiedereröffnete Ethnographische Museum zeigt u.a. historische Schätze armenischen Stadtlebens, der Stadt, die früher einmal Alexandropol hieß und die heute große Chancen hat, neben Yerevan wieder kultureller Mittelpunkt in der Region südlicher Kaukasus zu werden.
Neben dem Museum und der Kunstakademie wurde als 3. Ort die Style-Galerie genutzt, die auch "Exkursions- und Visionsort" der 3. Biennale war. Das dort arbeitende "Caucasian Center For Proposing Non-Traditional Conflict Resolution Methods/CCFPNTCRM" unter der Leitung von Artush Mkrtchian versucht, europäisches politisches Engagement im besten demokratischen Sinne mit gesellschaftlichem Gestaltungswillen zu versetzen und Kunst und Kultur einen breiten Rahmen dafür zu ermöglichen.


Das Ziel – mit Mitteln der modernen Kunst – nicht nur die geschlossene Situation der armenischen Künstler aufzubrechen und die Isolation zu überwinden, sondern einen kreativ inszenierten Öffnungsprozeß in Gang zu setzen, der neue Impulse und  Kontakte bringt und der – auch für die Bevölkerung – KULTUR als Neuanfang  erlebbar macht, ist gelungen.
Die Biennale hat sich nun ihren festen Platz  erkämpft. VAZO und das Team des GCCA – Gyumri Center für Contemporary Art können zufrieden sein: Es ist mit Hilfe des Leiters der Kunstakademie Hambardzum Ghukasian provisorisch in der Kunstakademie in Gyumri untergekommen. Das kulturelle Brückenbauprojekt  BIENNALE ist ein erster kleiner Motor, das den "Europäischen Impuls" vorantreiben kann. Von Armenien aus, dem südkaukasischen Bindeglied, und dies mit allen historischen, kulturellen und ethnischen Facetten. Viele Kontakte nach West und Ost sind bereits geknüpft worden, insbesondere nach Süd-Frankreich(Drome/Diois).  
Die Europäische Union sollte die Chance nutzen und Gyumri zu ihrem südlichsten Stützpunkt zu machen.

Nun bleibt nur zu hoffen, daß sich Sponsoren finden mögen, den Katalog und die nächste Biennale 2004 zu finanzieren, damit VAZO und sein Team mit Energie und Schwung an die Arbeit gehen können.

(gefördert durch Schirmherr Armen Darbinian, Präsident des International Center for Human Development,ICHD; British Council; UNDP; Italienische Botschaft; Tufenkian Foundation)

Gründer und Kurator: Vazgen Pahlavuni-Tadevosyan,
Co-Kurator: Azat Sargsyan, Arpine Tokmadjyan

Veröffentlicht in ADK, Armenisch Deutsche-Korrespondenz, 118, Jhg. 2002
(ISSN 0936-9325)